Unter Hunden scheint es wie auch unter Katzen oder Menschen einige Geschlechtsunterschiede zu geben – die Mädels sehen die Welt ein wenig anders als die Jungs. Genau genommen nehmen Rüden unlogische Veränderungen ihrer Umwelt als selbstverständlicher hin als ihre weiblichen Artgenossen.
Dies fand 2011 ein Forscherteam um Corsin A. Müller vom Clever Dog Lab der Universität Wien heraus, nachdem je 25 Hündinnen und Rüden in einem Verhaltensexperiment getestet wurden. Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse in Biology Letters. Die Versuche waren eigentlich konzipiert, um die Wahrnehmung von Größenkonstanz zu untersuchen (die Fähigkeit zu erkennen, dass ein Objekt seine Größe nicht willkürlich verändern kann, wenn es einen Moment lang verschwindet), die geschlechtsspezifischen Unterschiede wurden erst nach der Auswertung der Ergebnisse sichtbar.
Vor dem Versuch hatte jeder Hund die Möglichkeit, mit zwei gleich aussehenden Bällen zu spielen, die sich nur in ihrer Größe unterschieden: einem Tennisball und einem in der Größe einer kleinen Melone. Während des Versuchsdurchgangs saß die menschliche Bezugsperson mit verbundenen Augen hinter dem Hund, gab ihm dadurch Sicherheit, jedoch keinerlei Hinweise, die den Hund hätten beeinflussen können. Nur der Hund konnte daher den Ball beobachten, der durch sein Gesichtsfeld rollte. Genau vor dem Hund verschwand der Ball hinter einer Sichtblende und wurde in der Hälfte der Fälle durch einen anderer Größe ausgetauscht. Das Verhalten der Hunde wurde mit Videokameras aufgezeichnet und ausgewertet.
Rüden beobachteten alle Bälle nach ihrem Wiederauftauchen neben der Sichtblende etwa 17 Sekunden lang, unabhängig davon, ob sich seine Größe verändert hatte oder nicht. Hündinnen verwendeten nur 11 Sekunden zum Anschauen von unveränderten Bällen, jedoch 35 Sekunden zur Beobachtung von Bällen, deren Größe sich hinter der Sichtblende augenscheinlich verändert hatte, also doppelt so lange wie Rüden. Außerdem reagierten nur die Hündinnen mit Lautgebung und Blicken zu ihren Menschen auf die aus ihrer Sicht unlogischen Veränderungen.
Im Gegensatz zum Wiener Forscherteam ist Stanley Coren, emeritierter Professor der University of British Columbia in Kanada, der Ansicht, dass solche Unterschiede evolutionären Ursprungs sind. Er vermutet, dass es für Hündinnen wichtiger ist, sich auf ihre optischen Eindrücke zu verlassen, etwa wenn sie einen Wurf Welpen beaufsichtigen. Rüden scheinen dagegen eher mit ihrem Geruchssinn zu arbeiten, sie werden daher auch häufiger als Hündinnen zur Spurensuche eingesetzt.
Corsin Müller empfiehlt allen Verhaltensforschern, bei ihren Untersuchungen auf ähnliche geschlechtsspezifische Unterschiede zu achten, statt alle Daten von beiden Geschlechtern für die Untersuchung zusammenzufassen. Hier scheinen sich noch einige Phänomene zu verbergen, die es zu entdecken gilt.